Die Schrecken des Zweiten Weltkriegs wirken bis heute nach – nicht nur bei den Menschen, die sie unmittelbar erlebt haben, sondern auch bei ihren Kindern und Enkelkindern. Das Phänomen der sogenannten transgenerationalen Weitergabe von Traumata beschäftigt Forschende, Therapeutinnen und betroffene Familien gleichermaßen. Eine Veranstaltung des Museum Friedland rückt diese komplexen Fragen nun in den Mittelpunkt.


Am vergangenen Samstag gab es in der gut gefüllten evangelischen Lagerkapelle einen Vortrag und eine Lesung, die das Thema aus historischer, therapeutischer und persönlicher Perspektive beleuchteten. Psychotherapeutin und Autorin Anette Winkelmüller erklärte, wie traumatische Erlebnisse innerhalb von Familien weitergetragen werden und warum Symptome oft erst Jahrzehnte später sichtbar werden.
Im Anschluss gewährt die Zeitzeugin Edelgard Grothey einen tiefen Einblick in ihre Lebensgeschichte und las aus ihrem Buch „Choral der Zeit“. Ihre Erzählungen über Flucht, Gewalt, Lagererfahrungen und den Umgang der Nachkriegsgesellschaft mit diesen Themen machten beklemmend spürbar, wie schwer das Erbe des Zweiten Weltkriegs Krieges immer noch bei vielen Nachkommen wiegt.
Du bist nicht schuld – aber Du hast damit zu tun
Edelgard Grothey
Familiengeheimnisse, Schweigen und Realitätsverzerrung
Zudem machte der Eingangsvortag von Annete Winkelmüller deutlich: Traumata verschwinden nicht durch Schweigen. Im Gegenteil – das Leugnen oder Verzerren der Vergangenheit führt häufig zu einer Realitätsverstümmelung, die Betroffene zusätzlich belastet. Viele Kinder und Enkel tragen Emotionen, Ängste und Verhaltensmuster in sich, deren Ursprung sie nicht kennen, die aber in der Familiengeschichte verwurzelt sind.
Betroffene berichten häufig von:
- unbewussten Loyalitäten gegenüber traumatisierten Eltern
- diffusen Ängsten und Schuldgefühlen
- Lücken in der Familienchronik
- Widersprüchen zwischen Erzählungen und emotionaler Realität
- dem Gefühl, „etwas sei passiert“, ohne dass darüber gesprochen wird
Warum Sprechen heilt
Fachleute betonen, dass offene Kommunikation essenziell ist, um belastende Erinnerungen zu verarbeiten. Doch das Gespräch allein reicht oft nicht aus: Besonders hilfreich sind begleitende Formen wie Kunst- oder Traumatherapie, Kreative Ausdrucksformen – Gedichte, Zeichnungen, biografisches Schreiben – helfen, innere Bilder sichtbar zu machen, die lange verborgen waren.
Geschichte begreifen – Gegenwart verstehen
Die Berichte über Fluchtwege, Lagerhaft, Gewalt und interkulturelle Begegnungen machen deutlich, wie stark biografische Brüche die Lebenswege ganzer Familien prägen. Das Museum Friedland stellt diese Themen in einen größeren historischen Zusammenhang und bietet einen Ort, an dem individuelle Erzählungen mit kollektiver Geschichte verknüpft werden.
Ab 29. Januar 2026 wird es im Museum Friedland ein regelmäßiges Erzählcafe geben. Unter dem Thema „Nie wieder Krieg – Der zweite Weltkrieg und seine Folgen: wie sich Kriegskinder erinnern“ sind gerade persönliche Beiträge ausdrücklich erwünscht.
Ulf Engelmayer
Jutta Engelmayer
Fotos: ©Radio Leinewelle (je)
