Göttingen steuert auf ein seltenes Ereignis in einer niedersächsischen Großstadt zu: Am Montag, den 12. Februar 2024 um 12:30 Uhr hat die Klimaschutzgruppe GöttingenZero vor dem Neuen Rathaus die Unterschriften für beide Bürgerbegehren des Radentscheids an Oberbürgermeisterin Petra Broistedt (SPD) übergeben. Das Ziel: zwei Bürgerentscheide zur kommunalen Verkehrspolitik.
Bereits jetzt hat GöttingenZero über 9000 Unterschriften (s. auch Bericht) gesammelt und erwartet, dass trotz eines Anteils doppelter und ungültiger Unterschriften die erforderliche Zahl von 6813 deutlich überschritten wird. Zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren gelingt es damit GöttingenZero, die für die Einleitung eines Bürgerentscheids erforderliche Anzahl von Unterschriften zu sammeln. Der Bürgerentscheid „100 % klimaneutral bis 2030“ von 2021 wurde durch einen inhaltsgleichen Ratsbeschluss abgewendet, sodass es nicht zur Durchführung des Bürgerentscheids an der Wahlurne kam. Dies wird beim Radentscheid 2024 anders sein. Die Initiative strebt einen Bürgerentscheid zum Termin der Europawahl an. Zunächst wird jetzt die Gültigkeit der eingereichten Unterschriften durch die Stadtverwaltung geprüft.
Einen Bürgerentscheid, in dem die Bevölkerung – wie in der Schweiz üblich – über ein kommunales Thema selbst entscheiden darf, gab es in Göttingen noch nie – und in einer niedersächsischen Großstadt bislang nur ein einziges Mal: 2019 in Osnabrück. Dort hatte die Bevölkerung mit 76 % für die Bildung einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft votiert, in einem Bürgerentscheid, der am Wahltag der Europawahl 2019 durchgeführt wurde.
Göttingen wird damit seiner Bevölkerung die Möglichkeit geben können, nicht nur an einer kommunalpolitischen Sachfrage beteiligt zu werden, sondern auch tatsächlich selbst eine Entscheidung zu treffen, die unmittelbar danach von der Verwaltung umgesetzt werden muss.
„Wir plädieren für eine Trennung von Auto, Fahrrad und zu Fuß gehenden auf den Durchgangsstraßen und möchten damit die absolute und die gefühlte Sicherheit erhöhen – es ist die gefühlte Sicherheit, die die Menschen dazu bewegt, sich für das Auto oder das Fahrrad zu entscheiden. Genau hierin liegt für uns der entscheidende Ansatzpunkt für den Klimaschutz im Sektor Verkehr in unserer Kommune. Die Infrastruktur muss auch für Kinder und ältere Menschen ausgelegt sein. Die Verwaltung interessiert sich in jeder ihrer Stellungnahmen nur für die erfassten Unfallzahlen, was ausblendet, dass besonders Kinder und ältere Menschen als unsicher empfundene Strecken von vornherein meiden. Auch die letzten Entscheidungen zu den Fahrbahnsanierungen zeigen, dass weiterhin wie in den 1970er Jahren nur einseitig der Autoverkehr gefördert wird – nach wie vor wird kein einziger Radweg saniert.“ berichtet Jonas Luckhardt von der AG Radentscheid.
„Die Verwaltung setzt dagegen weiterhin einseitig auf den für Auto und Fahrrad gleichermaßen gefährlichen Mischverkehr und erkennt noch nicht, dass die Zeit gekommen ist, die verkehrspolitischen Leitlinien neu zu ziehen.“, betont Co-Organisatorin der Initiative Isabel Hielscher. „Wir freuen uns schon auf die lebendige Debatte über die vorgeschlagenen Maßnahmen und arbeiten für eine breite Mehrheit für diese einfache und wirkungsvolle Verbesserung unserer städtischen Verkehrsinfrastruktur.“
Foto: ©Radio Leinewelle (ue)