An diesen Theaterabend wird man sich noch lange erinnern. Das Ensemble des Deutschen Theaters spielt „Mephisto“, nach einem Roman von Klaus Mann, in einer Bühnenfassung von Bastian Kraft. Die Geschichte um den aufstrebenden Schauspieler Hendrik Höfgen in den 20er und 30er Jahren ist ein immer noch aktuelles Thema um Macht und Moral, Karriere und Gewissen und die Verführbarkeit des Künstlers durch politische Systeme. Daher umso größer die Erwartung des Publikums an die Inszenierung des Mephisto durch Erich Sidler. Es wurde nicht enttäuscht und bekam großes Theater. Nicht nur durch den grandiosen Auftritt des Hauptdarstellers Gabriel von Berlepsch als Hendrik Höfgen, der – so noch nie gesehen – die Grenzen körperlicher Möglichkeiten eines Schauspielers radikal auslotete. Das gesamte zehnköpfige Ensemble war in überragender Spiellaune und überzeugte. Wer befürchtet hatte, die 155 Min. lange Aufführung könnte sich hinziehen, wurde angenehm überrascht. Durch rasche Szenenwechsel mittels drehbaren Bühnenbild von Jörg Kiefel, hielt die Inszenierung ein hohes Tempo. Die zunehmende dramaturgische Schärfe zeigte die innere Zerrissenheit des Charakters von Hendrik Höfgen auf. Gabriel von Berlepsch spielt diese Rolle so intensiv, dass sich das Publikum der Faszination nicht entziehen kann. Es danke ihm und dem gesamten Ensemble mit minutenlangen Standing Ovations. Einen besonderen Reiz übte die Begleitmusik (E-Bass und E-Gitarre) von Michael und Johannes Frei. Mal leise im Hintergrund, mal tonangebend in die Handlung eingebaut, war dies ein überraschender Begleiteffekt der Inszenierung. Großes Theater – Chapeau DT!
Man wünscht sich, dass auch vermehrt die jüngere Generation den Weg in diese grandiose Inszenierung findet. Denn: Opportunismus, Karrieristen- und Renegatentum, falsche Loyalität und Verrat sind heutzutage oft Garant für einen schnellen Aufstieg. Und das nicht nur in der Politik.
Zum Buch von Klaus Mann „Mephisto“
„Mephisto – Roman einer Karriere“ erschien 1936 im Exil und ist ein scharfer politischer Roman über Karrierismus, Anpassung und moralischem Verrat in der Zeit des Nationalsozialismus. Im Mittelpunkt der Handlung steht Hendrik Höfgen, ein ehrgeiziger Schauspieler – charismatisch, aber zugleich extrem berechnend und opportunistisch. Um Karriere zu machen, passt er sich den neuen Machthabern nach der Machtergreifung 1933 an und wird zum gefeierten Intendanten eines nationalsozialistisch kontrollierten Staatstheaters. Dafür verrät er frühere Freunde, verdrängt seine eigenen Überzeugungen und lebt in ständiger innerer Zerrissenheit.
Privat leidet er unter seiner inneren Feigheit und Schuld, doch nach außen hin genießt er seine Machtstellung. Er wird protegiert vom „Ministerpräsidenten“ (eine Anspielung auf Hermann Göring) und erlebt rasanten beruflichen Aufstieg.
Höfgen wird zum „Staatsschauspieler“, inszeniert sich selbst als patriotischen Künstler und blendet die politische Realität aus.
Historischer Hintergrund
Die Figur Hendrik Höfgen basiert stark auf Gustaf Gründgens, einem realen Schauspieler und Theaterdirektor, der während der NS-Zeit Karriere machte. Klaus Mann (Sohn von Thomas Mann) kannte Gründgens persönlich – sie standen einst in engem Kontakt, bevor politische Entwicklungen sie trennten.
Wegen der Ähnlichkeit verklagte Gründgens‘ Adoptivsohn später erfolgreich gegen eine Veröffentlichung des Romans in Deutschland (erst 1981 durfte „Mephisto“ auch hier erscheinen). Gustav Gründgens war in der Bundesrepublik ein gefeierter Theaterstar. Er starb 1963 in Manila (Phillipinen).
Weitere Vorstellungen am 29.April, 11. und 23.Mai und 6. Juni im Deutschen Theater Göttingen. Mehr unter: dt.goettingen.de
Ulf Engelmayer / Jutta Engelmayer
Foto: Gabriel von Berlepsch, Moritz Schulze ©Deutsches Theater