Seit Jahrzehnten halten sie die Erinnerung an die Bücherverbrennung der Nazis in Kassel wach, Birgitt und Gerd Möller. Ihre „Bibliothek der verbrannten Bücher“ übergeben sie am Dienstag, 20. Mai, um 19.30 Uhr an die Stadt Kassel.
Oberbürgermeister Dr. Sven Schoeller nimmt die über 700 Bücher symbolisch in der Stadtbibliothek entgegen. Zudem hält Literaturwissenschaftlerin Professorin Dr. Nikola Roßbach von der Universität Kassel in der öffentlichen Veranstaltung einen Vortrag mit dem Titel „Bibliotheken verbotener Bücher und Zensur“. Der Eintritt ist frei.
„Je länger die Zeit der Nazi-Diktatur zurückliegt, umso wichtiger wird es, an ihre bösartige und nahezu totale Durchdringung des ganzen gesellschaftlichen Lebens zu erinnern, gerade auch ihre Feindschaft gegen die Literatur und die Freiheit des Geistes“, sagt Oberbürgermeister Schoeller. „Für das außergewöhnliche Engagement von Familie Möller sage ich im Namen der Stadt herzlichen Dank. Dieses wichtige Stück Erinnerungskultur wollen wir fortsetzen.“
Oberbürgermeister Dr. Sven Schoeller
Die Sammlung der Familie Möller steht in der langen Tradition der Errichtung von Bibliotheken der verbotenen, verbrannten Bücher. So wurde bereits am 10. Mai 1934 zum „Tag des verbrannten Buches“ – ein Jahr nach der großen Bücherverbrennung in Berlin – in Paris die „Deutsche Freiheitsbibliothek“ gegründet. Diese Einrichtung hatte das Ziel, alle im Dritten Reich verbotenen, verbrannten, zensierten oder totgeschwiegenen Werke zusammenzutragen.
In Kassel fand die Bücherverbrennung am 19. Mai 1933 auf dem Friedrichsplatz statt. Am späten Abend zogen SA‐ und SS‐Gruppen musizierend auf und stellten sich um einen Scheiterhaufen aus Büchern. In dieser Inszenierung wurden Literatinnen und Literaten ihrer Zeit diffamiert – darunter beispielsweise Nelly Sachs, Erich Kästner oder der Nobelpreisträger von 1929, Thomas Mann. Von 30.000 Zuschauerinnen und Zuschauern in Kassel schrieben die Zeitungen damals. Mehr dazu steht auf der städtischen Internetseite unter www.kassel.de/buecherverbrennung.
Mit der Bibliothek soll auch eine Brücke zum „Parthenon of books“ geschlagen werden, der sich anlässlich der documenta 14 im Jahre 2017 mit dem Verbot und der Zensur von Büchern in aller Welt befasste. In der Stadtbibliothek stehen 2.000 Bücher aus dem „Parthenon of books“ zur Präsenznutzung zur Verfügung. Auch die nun in die Hände der Stadtbibliothek gegebenen Bücher der Familie Möller werden für die Nutzerinnen und Nutzer zugänglich sein.
In ihrem Vortrag beleuchtet Prof. Dr. Nikola Roßbach das Thema Zensur von verschiedenen Seiten und diskutiert aktuelle Meinungsfreiheitsdebatten, Buchverbote und Bibliotheken verbotener Bücher. Ist die Zensur wieder da? Ist die Meinungsfreiheit auch bei uns bedroht? Was zunächst wie ein reißerischer Aufmacher klingt, lässt sich angesichts aktueller politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen durchaus ernsthaft fragen.
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