Paul de Lagarde (1827–1891) – Wissenschaftler und Antisemit

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(pug) Wer war Paul de Lagarde? Ein Forschungsteam des Seminars für Ägyptologie und Koptologie der Universität Göttingen hat in Kooperation mit dem Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam (MMZ) eine wissenschaftsgeschichtliche Bestandsaufnahme zu Leben und Werk des Göttinger Orientalisten, der von 1827 bis 1891 lebte, vorgelegt. Dabei beleuchten die Forscherinnen und Forscher auch und gerade die politisch-weltanschaulichen Aspekte der Arbeiten des Wissenschaftlers und insbesondere Lagardes Antisemitismus. Die Ergebnisse sind nun in der Reihe der Europäisch-jüdischen Studien beim Verlag De Gruyter publiziert worden.

Für diesen Sammelband haben die Teilnehmerinnen und -teilnehmer eines Workshops, der im Januar 2018 in Göttingen stattgefunden hat, Nachlassmaterialien und Publikationen Lagardes ausgewertet und erörtern in ihren Beiträgen zum einen die Fachgeschichte deutscher (Alt-)Orientalistik und der durch Lagarde geprägten Septuaginta-Forschung. Zum anderen bieten sie eine zeitgeschichtliche Einordnung vor den Hintergründen völkischer Ideologie und akademischer Netzwerke im 19. Jahrhundert. Die Mitorganisatorin des Workshops, Prof. Dr. Heike Behlmer von der Göttinger Ägyptologie, betont in ihrem Beitrag: „Die Arbeiten Lagardes zur ägyptisch-koptischen Sprache und koptischen Bibel markieren in repräsentativer Weise Stationen seiner Karriere.“ Er „erkennt und benennt zentrale Desiderata der Forschung.“ Und: „Mit seinen Plänen war Lagarde durchaus seiner Zeit voraus: die angestrebte Ausgabe der sahidisch-koptischen Bibel wird erst heute mit digitalen Methoden umgesetzt.“ Parallel zu Lagardes wissenschaftlichem Werdegang stellt die Historikerin Prof Dr. Ina Ulrike Paul in ihrem Beitrag fest: „Lagardes Haltung zu ‚den Juden‘ radikalisierte sich vom pietistisch fundierten theologischen Antijudaismus der 1850er Jahre bis zu einem mit rassistischem Vokabular formulierten radikalen Antisemitismus in den 1880er Jahren.“

Die Autorinnen und Autoren wollen Lagardes Persönlichkeit aber nicht zwischen seinen orientalistischen Studien und seinen kulturkritischen Schriften sowie seiner unbestreitbar antisemitischen Gesinnung ‚aufspalten‘: „Lagarde war jemand, der sich als Wissenschaftler einen Namen gemacht hat, aber eben auch ein bekennender Judenfeind“, kommentiert der MMZ-Gründungsdirektor Prof. Dr. Julius Schoeps in seinem Geleitwort. „Gerade deswegen sollten wir uns mit seiner Person und seinen Werken weiterhin kritisch auseinandersetzen.“, denn: „Die Beschäftigung mit Lagardes geistigem Erbe hilft uns zu verstehen, warum Menschen antisemitisch denken, welchen Ausdruck dieses Denken findet und welche Folgen bloße Gedanken haben können.“ Dabei stehen zuallererst die Orientalistinnen und Orientalisten in der Pflicht, nicht zuletzt, um dadurch auch die gesellschaftliche Relevanz ihrer Forschung deutlich zu

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Foto: Lagarde Anfang der 60er Jahre des vorigen [19.] Jahrhunderts, nach einer im Besitze der Göttinger Universitätsbibliothek befindlichen Photographie.  Aus: Ludwig Schemann, Paul de Lagarde, 2. Auflg., Leipzig 1920:

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