„The Walls“ im Kunsthaus Göttingen – die Kunst der Reduktion und der optischen Täuschung

Kultur

Die neue Ausstellung im Göttinger Kunsthaus zeigt drei Künstler:innen die sich in den dortigen Räumen mit den Wänden als Ideengeber, Entwurfs- und Arbeitsfläche auseinandersetzen. Das Spannende an der Ausstellung sind die unterschiedlichen Konzepte in der Herangehensweise.

Daniela Friebel (1975 in Berlin geboren) arbeitet mit fotografischen Trompe-l’œils, mit optischen Täuschungen. Sie erstellt Fotografien oder generiert aus gefundenen Archivfotos neue Bilder. Den Raum definiert Friebel als Bild, das sich durch den Perspektivwechsel beim Umhergehen im Raum verschiebt. Die Fotografien, die Friebel als Tapete direkt auf die Wand bringt, täuschen  im Zusammenspiel mit der musealen Raumkonstellation eine reale Existenz vor. Das Tapeten-Trompe-l’œil als Teil der Wand verändert den Raum und verunsichert die Wahrnehmung – wo endet das Bild, wo beginnt der Raum? 

Das monumentale Bild entstand aus ca. 300 Einzelfotos, so die Künstlerin. Phänomenal ist die optische Täuschung, der 3D Effekt. Wer genau hinschaut, wird schnell merken, dass die Schattenwürfe aus unterschiedlichen Richtungen kommen. Dies führt zu Verunsicherung beim Betrachter und weist auf die Künstlichkeit der Anordnung hin. Wer einen noch detaillierteren Blick wagt, wird einen „tierischen“ Zufallsbefund entdecken.

Frank Neubauer (1952 in Rhynern/Westfalen geboren) widmet sich in seiner Kunst vornehmlich der Zeichnung. Zu dieser Ausstellung hat er für zwei Wände großflächige Graphitzeichnungen erstellt. Er arbeitet mit reinem Graphitpulver, dass aus bergmännisch abgebautem Graphit hergestellt wurde, was ihm feinste Übergänge von Hellgrau bis zu tiefstem Schwarz ermöglicht. Neubauers Zeichnungen sind prozessbetont. Ausgehend von einem weiß grundierten Filzuntergrund entwickelt er im Wechsel klare Flächen und Überlagerungen, dichte und transparente Bildräume, die Tiefe bzw. Durchsichten suggerieren.

Kaum glaublich, dass die beiden großformatigen Zeichnungen an den Wänden mit dem Material eines einzigen Graphitstifts erstellt worden ist. Zwei Bänke laden zur intensiven Betrachtung der Werke ein.

Anna–Maria Bogner (1984 in Tirol geboren) arbeitet mit minimalen Mitteln, vornehmlich schwarzen Gummibändern, mit denen sie Raumsituationen inszeniert, die den Charakter des Ortes markieren und gleichzeitig die Orientierung darin irritieren. Der Ausstellungsraum wird in ein schwarz-weißes Labyrinth verwandelt. Die Erkundung der vorgefundenen Architektur wird schwierig und das räumliche Sehen wird auf die Probe gestellt. Bei Bogner sind die Wände das Gerüst zur Schaffung eines dynamischen Raumerlebnisses.

Die minimalistische Installation im 2. Obergeschoss des Kunsthauses lädt zur intensiven Begehung ein. Die elastischen Bänder- ältere Besucher:innen werden an das seinerzeit populäre Schulhofspiel „Gummitwist“ denken – schaffen ein je nach Blickwinkel unterschiedliches Raumgefühl.

Mit dieser Ausstellung und der begleitenden Präsentation über die Entwicklung der Rotis-Schrift (Bericht folgt) verabschiedet sich die Kuratorin Ute Eskildsen vom Kunsthaus Göttingen.
Hier noch einige einleitende Worte von Ute Eskildsen zu „The Walls“.

Eine Ausstellung, die ihren starken Reiz aus der Reduktion zieht. Dies verleitet interessierte Besucher:innen zu einer kontemplativen und intensiven Beschäftigung mit den Werken, aber auch mit der Raumsituation. 

„The Walls“ und die Sonderausstellung „Timm Rautert: Otl Aicher / Die Rotis Schrift“ sind bis zum 08. Januar 2023 im Kunsthaus Göttingen zu sehen. Mehr auch zum Begleitprogramm unter: www.kunsthaus-goettingen.de

Foto: Frank Neubauer ©Radio Leinewelle (ue)